P3-Satelliten Fluglage und Squint

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Inhaltsverzeichnis

Squint und Parallaxe

Fluglage und Squint

Der Sonnenwinkel

Auswirkungen des Schielwinkels

Berechnung der Antennenleistung

Berechnung der Polarisation

Software zur Berechnung

Literatur zum Thema Fluglage

Astronomie und Satelliten

Satellitenbahnberechnung

Satellitensoftware

Satellitenliteratur

Aktuelle Bahndaten AO-40

Funkbetrieb

 

 

I Die Fluglage von P3-Satelliten

Die Gesetze der Optik, gepaart mit der Lage eines Satelliten im Raum und dessen innigem Verhältnis zur Sonne, führen für die Bodenstation zu einer verwirrenden Vielfalt von Begriffen und für Kommandostationen zu umfangreicher Planungsarbeit. Die folgenden Ausführungen sind der Versuch einer Erklärung der Zusammenhänge.

1.  Squint und Parallaxe

Was für uns der Duden, ist für US-Amerikaner der Webster. Squint, so heißt es dort, ist das Blinzeln der Augen bei zu heller Sonne. Auch der Silberblick (crossed eyed) und das Peilen entlang einer Geraden fallen darunter. Optische Begriffe also, die keine Verbindung mit einem Satelliten vermuten lassen, dennoch ist der Begriff des Squint  bei AO-40 seit den ersten erfolgreichen Tests des 70 cm/13 cm Transponders in aller Munde.

Kann man daraus schließen, dass Bodenstationen, die P3-Sat nutzen wollen, ein gewisses Maß an Fehlsichtigkeit und/oder Peilungsvermögen aufbringen müssen und ist es zwingend erforderlich, dass man den Satelliten beim QSO-Betrieb im Auge halten muss ?

Oder bedeutet es, dass der Satellit blinzelt, weil er die Krokodile unter den Bodenstationen mit Argusaugen betrachtet ?

Deutungsmöglichkeiten gibt es viele.

Ich wähle zur besseren Beschreibung zunächst den Begriff der Parallaxe. Als Parallaxe bezeichnet man in der Astronomie den Winkel zwischen einem Gestirn, seiner Verbindungslinie zum Erdmittelpunkt und dem Standort des Beobachters (Bild 1).

 

Setzt man die Anordnung in Bild 1 auf die geometrischen Verhältnisse bei einem Satelliten um, dessen Antennen immer auf den Mittelpunkt der Erde gerichtet sind, so ergeben sich die gleichen Bedingungen.

Der Squint ist bei dieser Konstellation identisch mit der Parallaxe und berechnet sich nach :

Formel 1:

                   

Dabei sind S0 die Slant Range zum Satelliten, Rv der Radiusvektor und R der Erdradius am Äquator.

Wir halten fest, der Squint ( zu deutsch Schielwinkel ) ist der Winkel unter dem die Bodenstation in die Antennen des Satelliten ( +Z-Achse ) sieht.

 

2. Squint und Fluglage

Bei AO-40 ergaben sich bis zu seiner Verstummung noch andere Verhältnisse. Die Drallrad-Lageregelung wurde zwar erfolgreich getestet (16.08.01), war aber noch nicht eingeschaltet und die Sonnensegel wurden nie entfaltet. Der Satellit musste seine Sonnenzellen wegen des Energiehaushalts aber zur Sonne ausgerichtet halten, der Sonnenwinkel und damit der Beleuchtungsfaktor durfte nicht unter einen bestimmten Wert absinken. Da sich der Sonnenstand, so wie für die Erde auch, im Laufe des Jahres ständig ändert, waren Anpassungsmaßnahmen durch die Kommandostationen erforderlich. Damit unterschied sich das Verfahren noch nicht wesentlich von AO-13[3]. Bei P3-E wird es ähnlich sein.

Es bedeutet, dass der Satellit zur Optimierung des Sonnenwinkels bei Bedarf im Orbit physisch gedreht werden musste. Bei dieser Drehung erhält die +Z Achse eine andere Lage im Raum, das Maß dazu wird durch die Werte ALON und ALAT ausgedrückt [1].

Während ALAT (s. Bild 3) das Maß der Deklination ( +90° bis -90°) der +Z-Achse im Vergleich zur Orbit-Ebene darstellt, ist ALON (Bild 4) der Winkel (0° bis 360°) der + Z-Achse zur Apsidenlinie in Flugrichtung gemessen.

ALON und ALAT ändern sich täglich um einen bestimmten Wert, der durch die Präzession der Satellitenbahn bestimmt wird. Die Präzession bewirkt, dass die Apsidenlinie wandert und dass sich zusätzlich die Bahnebene dreht. Da die Drallachse des Satelliten durch den Spin wie ein Kreisel im Raum feststeht, ändern sich zwangsläufig ALON und ALAT. 

In Satellitenbahnberechnungen[7], die etwas auf sich halten, wird daher diese säkulare Änderung, ausgehend von einem Referenzdatum, mit eingerechnet. Das Referenzdatum ist wichtig, weil es der Ausgangspunkt für die Berechnung der Änderung ist, es wird meist bei der Veröffentlichung neuer ALON/ALAT Werte mit angegeben. Dabei reicht es aus, das Datum der Meldung zu nehmen.  Fehlt auch das, dann sollte man bei der AMSAT-DL nachfragen.

Leider gibt es noch weitere Einflüsse auf ALON/ALAT. Besonders beim Perigäumsdurchgang in geringer Höhe gibt es "Stöße", die bewirken, dass sich die Lage der Z-Achse trotz Drallstabilisierung verändert. Dieser Effekt wurde bereits bei AO-13 festgestellt[3] und traf auf AO-40 ebenfalls allerdings in einer höheren Größenordnung- zu. 

Der Normalwert von ALAT und ALON ist jeweils 0°. Gegenüber AO-13 ergibt das einen Unterschied von 180° bei ALON, bei ALAT ergibt sich ein Vorzeichentausch. Ursache ist die Anbringung der Antennen bei AO-40 auf der +Z-Achse gegenüber AO-13 auf der -Z-Achse.

Wer mit älteren Programmen zur Squint-Berechnung arbeitet und ihm die Ergebnisse verdächtig sind, zähle also den Angaben der AMSAT bei ALON 180 Grad dazu, wechsele bei ALAT das Vorzeichen aus und gebe diese korrigierten Werte ein. Man kann auch alles so lassen und den vom Programm (falsch) ermittelten Wert für den Squint von 180 Grad abziehen. Dann liegt man ohne Eingabeänderungen wieder richtig.

Bei ALON und ALAT = 0 entspricht der Squint-Winkel wieder der eingangs erwähnten Parallaxe. Ansonsten ergibt sich bei allen anderen Werten ein Winkel zur Antenne des Satelliten der aus der Abweichung von ALAT/ALON vom Normalwert - plus oder minus der Parallaxe besteht ( Bild 5). Der Squint kann Werte von 0° (optimaler Wert) bis 180 ° (man sieht die Antenne von hinten), annehmen.

Die Berechnung des Squint unter Berücksichtigung von ALON/ALAT ist in den 

"Formeln zur Satellitenbahnberechnung"[7] ausführlich beschrieben. 

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3. Sonnenwinkel

Nach Squint und Fluglage fehlt noch das wichtigste Glied in der Kette, der mysteriöse Sonnenwinkel. Der Sonnenwinkel ist optimal, wenn die Sonne senkrecht über der Fläche der Sonnenzellen steht, er beträgt dann 0° und der Beleuchtungsfaktor der Sonnenzellen damit 100%.

Die vollständige Berechnung einschließlich der dazu notwendigen Bestimmung der Sonnenkoordinaten und der solaren Elevation sowie die Einbindung der Routinen in Satellitenprogramme, findet man in meinem E-Buch "Amateurfunksatelliten, Übersicht, Berechnungen und Software für den Funkamateur"[7].

4. Auswirkungen des Antennenschielens

Wer jetzt die Frage stellt, wozu das alles dient, liegt genau richtig. Wir wissen aber jetzt, dass immer dann, wenn der Squint-Winkel größer als Null Grad ist, entweder die Antenne des Satelliten schielt oder die Bodenstation in die Satelliten-Antenne schielt. Wer oder was den "Augenfehler" verursacht, wissen wir jetzt auch.

Dieses Schielen bedeutet konkret

Bei Downlink geht ein Teil der Sendeenergie des Satelliten an der Bodenstation vorbei, weil die Antennenhauptkeule des Satelliten das QTH nicht voll trifft [Vergl. 1].

Bei Uplink verpufft ein Teil der Sendeenergie der Bodenstation und geht am Satelliten vorbei, weil die Satellitenantenne nicht in die Hauptkeule der Bodenstation sieht.

Durch den seitlichen Einblick in die Sendeantennen des Satelliten empfängt man, je nach Squint, nur noch die seitlichen Keulen und leidet unter der seit AO-13 sattsam bekannten Spin-Modulation[Vergl. 3].

Die Polarisation des Signals verschiebt sich mit zunehmendem Squint von zirkular (Squint =0°) auf links-/rechtelliptisch bis linear. Das kann u.a. zur Folge haben, dass linear polarisierte Antennen plötzlich wesentlich bessere Signale liefern als zirkulare.

Der Schieleffekt kann so groß werden, dass ein Betrieb über den Satelliten nicht mehr möglich ist.

Je größer der Gewinn der Antennen, desto mehr wirkt sich der Squint aus.

Bei der Planung der Transponderzeiten müssen die AO-40 Kommandostationen daher die Entwicklung des Squint-Winkels vorausberechnen [Vergl. 1 und 3] und danach u.a. die Ein- und Ausschaltzeiten der Transponder festlegen.

Da die Fluglage immer ein Ausfluss des zu erwartenden Sonnenwinkels ist, gibt es für die Kommandostationen eine Prioritätenfolge[Vergl.3]:

Der Sonnenwinkel bestimmt die Fluglage (ALON/ALAT).
Die Fluglage bestimmt den zu erwartenden Squint-Winkel.
Der Squint-Winkel bestimmt die Schaltzeiten des Transponders.

Der Einschaltpunkt des jeweiligen Transponders wird auf eine Stelle des Orbits gelegt von dem an Funkbetrieb möglich ist und von dem an  der Squint-Winkel bis zu einem Minimalwert sinkt. Der Ausschaltpunkt ist der Punkt, bei dem der Squint-Winkel wieder so groß ist, dass geregelter Funkbetrieb nicht mehr möglich ist. 

Diese Aufgabe ist für die Kommandostation nicht gerade einfach, fordert es doch u.a. einen hohen Zeitansatz (Freizeitbeschäftigung) und eine gewisse prophetische Gabe, um die Entwicklung des Sonnenwinkels und Squint-Winkels rechtzeitig im Voraus zu berechnen und dann die Folgemaßnahmen zu planen.

Das gelegentliche Meckern von Bodenstationen über Transponderschaltzeiten ist - abgesehen von notorischen Nörglern - wahrscheinlich durch Nichtwissen der physikalischen  Zusammenhänge  bedingt; so mögen diese Ausführungen in dieser Hinsicht  der Aufklärung dienen.

5. Auswirkungen auf die Polarisation der Signale

Der Squint-Winkel und die Lage der Bodenstation haben erhebliche Auswirkungen darauf,  wie ein Downlinksignal polarisiert ist und in welcher Polarisation ein irdisches Signal beim Satelliten ankommt. AO-40 strahlt immer  ( Ausnahme ist nur die 24GHz Hornantenne ), ein zirkular rechts (RHCP) polarisiertes Signal ab, je nach Perspektive zu den Satellitenantennen  empfängt die Bodenstation aber ein Signal mit einer anderen Polarisation.

Man kann sich den Effekt bildhaft so vorstellen:

Steht man vor der Wendel einer Helixantenne und blickt in die Wendelmitte so erscheint die Wendel kreisrund.

Bewegt man sich - bei gleicher Augenhöhe - in einem Winkel seitlich zur Wendel so erscheint die Wendel ellipsenförmig. Dabei ist die Schlankheit der Ellipse abhängig vom Winkel des seitlichen Einblicks.

Steht man - Augenhöhe wie vor - in einem Winkel von 90 Grad zur Helix, dann sieht man nur noch den senkrechten Teil der Wendel.

Geht man noch weiter, dann beginnt man die Wendel wieder als Ellipse zu sehen, allerdings von hinten.

Wiederholt man nun diese Prozedur mit einer anderen Augenhöhe, dann wird man feststellen, dass man je nach Blick, die Wendel als schräge - oder als waagerechte Ellipse sieht,  oder dass nur noch waagerechte Teile in den Blick fallen.

Fazit:

Eine zirkular polarisierte Welle kommt bei uns so an, wie der perspektivische Blick in die Hauptkeule der Antenne es verheißt. Je nach Squint und Lage der Bodenstation im Verhältnis zum Sub-Satellitenpunkt, wechselt die Polarisation des Signals von sauberer rechtsdrehender( RHCP ) - über rechts-elliptische( RHEP )- nach quasi vertikaler - oder horizontaler Polarisation. Linksdrehende  Polarisation( LHCP oder LHEP ) entsteht nur dann, wenn Reflektionen am Standort der Bodenstation im Spiel sind.  Diese Fälle waren bei 2m Downlink (AO-10,AO-13) sehr zahlreich, kommen bei s2-Downlink aber so gut wie nicht vor.

Insgesamt gibt es dazu die Faustformel : 

Squint >=0° bis Squint 5°           RHCP (Right Hand Circular Polarization)

Squint  >5°  bis  45°                  RHEP (Right Hand Elliptical Polarization)

Squint > 45°  bis ca. 59 °           RHEP  (sehr schlanke Ellipse)

Squint > 60° bis 90°                  Linear

Squint > 90°                             RHEP  von hinten gesehen, durch Vor-Rückwärtsverhältnis gedämpft. 

Zusammenfassung

Bei P3-Satelliten muss man also berücksichtigen, dass sich die Polarisation des vom Satelliten abgestrahlten Signals aus der Sicht der Bodenstation im Laufe des Orbits je nach SQUINT-Winkel verändert. Die Polarisation durchläuft alle Stadien von sauberer rechtszirkularer Polarisation über rechtselliptisch bis hin zu quasi linear. Eine Bodenstation ist mit einer zirkular polarisierten Antenne immer gut beraten, weil diese ohne den Zwang zur Umschaltung immer etwas empfängt und sich damit den wechselnden Lagen besser anpasst. Dagegen würde z.B. eine horizontal polarisierte Antenne bei einem Wechsel der Polarisation auf Vertikal einen tiefen Einbruch des Signals bewirken. In Einzelfällen kann aber lineare Polarisation von Vorteil sein. 

6. Softwareunterstützung

Alle notwendigen  Berechnungen sind im Satellitendienstprogramm [5] und in MMTrack[6] enthalten, die Parameter werden dort fortlaufend angezeigt. Damit kann man dem Funkverkehr über P3-E beruhigt entgegensehen, man sieht während des Betriebs wann und warum die Signale schlechter werden und wann und warum ggf. die Spinmodulation einsetzt. Auch der Vergleich mit den Verhältnissen der Gegenstation ist im Programm möglich, da man ohne Klimmzüge durch einen einfachen Mausklick auch deren Daten anzeigen lassen kann. Zusätzlich kann man noch Listen mit den Angaben erstellen und in eine Textdatei schreiben.

7. Literatur/Anmerkungen

[1] Frank Sperber, DL6DBN," AO-40 Mini-Glossar", in AMSAT-DL Journal 2/2001 S. 17 ff

Hier gibt es gute weitere Erklärungen zu Fluglage/Squint etc.

[3] James Miller,G3RUH,’Die Steuerung von AO-13’ in AMSAT-DL Journal 2/1994 S. 7 ff.

Hier wird das geschildert, was für die Steuerung von AO-40 zur Zeit ebenfalls zutrifft.

[4] ARRL, "The Satellite Experimenters Handbook"

[5] AMSAT-DL Warenvertrieb, "Satellitendienstprogramm DC9ZP", Art # 103

[6]AMSAT-DL Warenvertrieb, "MMTrack-Satellitenprogramm DC9ZP", Spezifiziert nach NORAD-SDP4/SGP4, Art # 102

[7] Manfred Maday, DC9ZP, Amateurfunksatelliten, Übersicht, Berechnungen und Software für den Funkamateur", Köln Juli 2002. Das Standardwerk zur Satellitenberechnung, ein Buch, das nur als PDF-Datei lieferbar ist.

 

Die Begriffe der Zeit in Zusammenhang mit der Satellitenbahnberechnung finden Sie hier.

 

Bearbeitungstand dieser Seite : 13.07.10